Der Neubeginn
Die Nachkriegszeit
Nach einer durch den 2. Weltkrieg bedingten Pause startete die Forschung 1950 von neuem auf Schweizer Seite, diesmal unter der Leitung von Emil Kuhn-Schnyder, Schüler und Nachfolger Peyers. Die neuen Grabungen an der Lokalität Mirigioli zwischen Serpiano und dem Gipfel des Monte San Giorgio, bei denen auch das Geologisch-Paläontologische Institut der Universität Basel (Louis Vonderschmitt) beteiligt war, dauerten bis 1968. Diese Grabung ist besser bekannt als "Punkt 902" und ist mit ihren anfänglich 240 Quadratmetern Fläche und 16 m Tiefe die grösste und systematischste aller Fossiliengrabungen am Monte San Giorgio. Dank Emil Kuhn-Schnyder wurden 1956 das Paläontologische Institut und 1965 das Paläontologische Museum der Universität Zürich gegründet, die bis heute die grösste Sammlung an Fossilien vom Monte San Giorgio besitzen.
Gemeinsam mit Hans Rieber und der Gemeinde richtete Emil Kuhn-Schnyder 1973 das erste Fossilienmuseum in Meride mit einer Auswahl von Originalfossilien und Abgüssen der Zürcher Sammlung ein. 1983-1984 fanden nochmals Grabungen der Universität Zürich in der Besano-Formation statt, diesmal unter der Direktion von Hans Rieber, mit Hauptgewicht auf der Verteilung der Ammonoideen und Bivalven (Daonellen). Unter der Leitung von Hans Rieber wurde von 1976 bis 2001 das Material der umfangreichen Fossiliensammlung in Zürich weiter bearbeitet.
Emil Kuhn-Schnyder (1905–1994) auf der Grabung Mirigioli oder „Punkt 902“. (Foto PIMUZ)
Auf der Italienischen Seite des Monte San Giorgio wurde die paläontologische Arbeit 1975 vom Museo Civico di Storia Naturale di Milano unter der Leitung von Giovanni Pinna und Giorgio Teruzzi zuerst an der Lokalität Rio Ponticelli oberhalb von Besano wieder aufgenommen. Bei den späteren Grabungen bei Sasso Caldo oberhalb von Besano wurde 1993 das mit 6 m Länge grösste Meeresreptil des Monte San Giorgio entdeckt: Besanosaurus leptorhynchus. Das waren die bisher letzten Fossiliengrabungen in der Besano-Formation, da sich das Interesse der Wissenschaft inzwischen zu jüngeren fossilhaltigen Schichten der noch schlecht untersuchten Meride-Formation verlagert hatte (Cava-inferiore-, Cava-superiore-, und Cassina-Schichten sowie Kalkschieferzone).
Zeichnung des Skelettfundes von Besanosaurus leptorhynchus, flankiert von Giorgio Terruzzi, wissenschaftlicher Leiter der Ausgrabungen von Sasso Caldo oberhalb von Besano (Foto Museo Civico di Storia Naturale di Milano)
Rekonstruktion von Besanosaurus leptorhynchus. Länge 6 m (Foto Museo Civico di Storia Naturale di Milano)
Die ersten paläontologischen Studien in der Meride-Formation hatte Bernhard Peyer bereits 1927 begonnen. Bei Grabungen in den Cava-inferiore-Schichten kam 1937 eines der berühmtesten Fossilien zum Vorschein, das komplette Skelett des Nothosauriers Ceresiosaurus calcagnii, heute das Symbol des Monte San Giorgio, das auch auf einer Sondermarke der Schweizer Post abgebildet wurde. Emil Kuhn-Schnyder organisierte von 1971-1975 mehrjährige Grabungen in den fossilreichen Schichten bei Cassina.
Briefmarke der Schweizer Post mit Ceresiosaurus calcagnii, 2004
Seit den frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden Forschungen in der Meride-Formation von verschiedenen Institutionen und an verschiedenen Orten des Monte San Giorgio durchgeführt, unterstützt und teilweise finanziert durch das Museo cantonale di storia naturale di Lugano. Eine Gruppe des Dipartimento di Scienze della Terra dell’Università di Milano arbeitete unter der Leitung von Andrea Tintori von 1990 bis 2004 in der Kalkschieferzone, erst bei Ca' del Frate/Besnasca auf italienischem Gebiet nördlich von Viggiù (in Zusammenarbeit mit dem Museum von Induno Olona) und später auch in der Schlucht des Gaggiolo bei Meride auf der Schweizer Seite. Diese Grabungen ergaben viele neue Fische, seltene Reptilien, Pflanzen, kleine Krebse und sogar die ersten fossilen Insekten (Gattungen Tintorina und Notocupes). Eine Gruppe des Paläontologischen Instituts und Museums der Universität Zürich, geleitet von Heinz Furrer, führte zwischen 1994 und 2005 wichtige neue Ausgrabungen durch, vor allem in den Cava-inferiore- und Cava-superiore-Schichten bei Acqua del Ghiffo. Dabei wurden zahlreiche Fossilien von Fischen und vor allem Reptilien in perfekt erhaltenem Zustand entdeckt; zwei juvenile Exemplare von Ceresiosaurus calcaganii und viele kleine marine Reptilien der Gattung Neusticosaurus. Aussergewöhnliche Platten mit bis zu 20 Skelettresten sind im Museo cantonale di storia naturale di Lugano (mit Neusticosaurus pusillus) und im Fossilienmuseum des Monte San Giorgo in Meride (mit Neusticosaurus peyeri) ausgestellt.
Das Team der Universität Zürich an der Arbeit bei Acqua del Ghiffo, unter Leitung von Heinz Furrer (Foto H. Furrer, 2001)